Freitag, 14. Dezember 1979

Uptown Girl 12


Uptown Girl 12

Mit der Zeit hatte Anna hatte fast alle Weihnachts-Geschenke für ihre Familie und ihre Freundinnen soweit zusammen bekommen.


Für Linda hatte sie ein schönes Snoopy- Glas mit eingravierten Namen gekauft, ihre Schwester sollte einen weißen Lidschatten und den dazupassenden Lippenstift bekommen und Annas Mutter würde sie sicher über den braunen Wollkorb freuen, gefüllt mit grauer und gelber Wolle.


Woher sollte sie auch ahnen, dass sie von Linda einen Mordillo- Zahnputzbecher mit ihrem eingravierten Namen geschenkt bekommen sollte, von ihrer Schwester ihrer Schwester einen Schminkpinselset und ihren lang ersehnten Snoopy-Button, der sie unweigerlich an Joop erinnern würde, und von ihren Eltern vier knallrote Coca- Cola Handtücher.


„Doch nicht schon für die Aussteuer?“, wäre sicher ihre Antwort gewesen, doch es sollte schlimmer kommen.

Denn insgeheim hoffte Anna, dass das beibehaltene Kindheitsritual, (( von wegen, der Nikolaus bringt dem Weihnachtsmann den Wunschzettel vorbei usw.)), immer noch funktionierte, - natürlich allein der kleinen Schwester zu Liebe-.


Sicher, die Duft- und Räucherkerzen wären nett und schön, aber diesmal müssten es die neuen LP`s von Depeche Mode sein , denn wären schon mehr als schenkenswert.

So sollte Heilig Abend unvergessen bleiben für Anna, nicht dass tatsächlich der Wunschzettel den Weg zum Santa verlorengegangen schien und das Weihnachtsessen auch nicht ganz ihr Fall war ( Rotkraut auf ganzer Gans) sondern, dass unter dem Lametta behangenen Baum ein roter Aktenkoffer für die Schule lag (völlig uncool) , rote und graue Wolle und Stricknadeln in Größe 6 (ach nein, das Strickfieber ist längst vorbei), sowie 8 Coca- Cola-Gläser und ein Mülleimer ( Taaaarzan, hilf mir!)

neben einer LP von Tears For Fears (die hatte ich doch schon doppelt!).


„Und wo sind meine richtigen wichtigen Geschenke, wie die LP`s von DM????“, grummelte Anna, und setzte sich enttäuscht vor den TV, um die Drombuschs zu gucken. In Gedanken bei Mac Donalds, mit dem gesunden Muß an Fritten, Cheeseburgern, und den leckeren Apfeltaschen. ...


To be continue

© Capri


Mittwoch, 14. November 1979

Uptown Girl 11


Uptown Girl 11


Als Anna am nächsten Tag auf dem Behandlungsstuhl saß und das ungeliebte Geräusch des Bohrers vernahm, dachte sie weder an Michael oder an Karl Heinz,

sondern eher Georgio Moroder „Spiel mir das Lied vom Tod!“


Die Filmmusik von Ennio Morricone ging ihr schon seit ihren Zahnschmerzen nicht aus dem Kopf, doch als sie nun das hämische Grinsen ihres Zahnarztes über sich sah,

hätte sie am liebsten Henry Fonda kopiert und ihm eine Ladung Kautabak entgegen gespukt.


„Ich hasse Zahnärzte!“, schimpfte sie, „aber ich hasse ja noch viel mehr die Zahnschmerzen!“, jammerte sie kleinlaut.

„Erst kann ich das Kölnerspiel nicht zuende sehen, dann kann ich nicht wie geplant nach IKEA fahren, denn mit dieser blöden Betäubung, sehe ich ja aus wie John Marrick, der Elefantenmensch und zum guten Schluss haucht dieser El Dentico

aus einem Möchtegern Italo- Film mir auch noch seine Wrigleys Spearmint Gum- Fahne entgegen, womit habe ich das verdient?“


Anna verschob ihre Einkäufe bis auf Weiteres.

Wissend, dass die Verletzungen, die ihre Weisheitszähne hinterlassen hatte,

verheilen und sie wieder in Ruhe das Leben der Achtziger Jahre genießen würde,

freite sie sich auf die bevorstehenden Bummel, über die verschiedenen Weihnachtsmärkte.

„So kann ich mir noch ein paar Gedanken für das bevorstehende Weihnachtsfest machen!“


Zum Trost für ihre angeschwollenen Wange kam Gaby noch auf ihrem Mofa vorbei

und schenkte Anna eine selbstaufgenommene Kassette.

„Ist `ne 90er MC, weil die 120er immer so schnell reißen,

aber echt coole Musik drauf, hab ich Tagelang vor dem Radio vorgesessen, hör mal rein!“

Gaby spulte an dem silbernen Grundig HIFI- Turm von Anna herum und spielte sämtliche Stücke von Paul Young, Elton John, Musical Youth, Righeira, Trio, BJH, Kajagoogoo, Nena, SMG, Gazebo, Shakin Stevens, Bonnie Tyler, FR. David, Chris de Burgh, Geier Sturzflug, Kim Wilde, Laid Back usw. vor.


“Ist juuuut.. Gaby! Ich sag ja, bist ein echter Schatz, ich freue mich sehr, danke Goldlocke!” Gaby war Rothaarig und liebte diesen Namen sehr.[[smile]]

„Ist sozusagen auch schon dein Weihnachtsgeschenk, du Pflaume!“

„Oh warte, ich hab auch etwas für dich, mein Schatz!“, fiel es Anna siedend heiß ein.

Gaby rutschte ganz nervös auf dem Styroporkügelchen gefüllten Nylonsitzkissen

und streckte ihre neonfarbig bemalten Fingernägel nach dem Geschenk aus,

dass Anna ihr hinstreckte.

„Was ist den das? Sieht aus wie eine VHS- Kassette?

Cool.. was ist drauf? Rambo? Rocky, Staying Alive, etwa -Die Klapperschlange- mit Kurt Russel? Nu komm, Anna, mach es nicht so spannend.“ Gaby stöhnte auf und hing Anna an den Lippen, als diese ihr leise zuflüsterte:

„ Alle sechs neuen Folgen vom TRAUMSCHIFF hab ich dir aufgenommen!“

„Ich bringe dich um, Anna!“ [[zwinker]]


© Capri




Sonntag, 14. Oktober 1979

Uptown Girl 10


Uptown Girl 10

... so nebenbei erzählt ...


„Hallo Gaby, du sag mal, haste Lust, in`s Stadion zu fahren? Ich hab noch eine Karte frei, komm, ich schenk dir die Karte, kostet nur 8 DM. Stehplatz, Unterrang Süd, ja gleich in der Kurve, ja sicher, wenn ich es dir doch sage, okay.


Noch mal langsam, ganz für dich allein. BAYERN MÜNCHEN gegen den 1 FC KÖLN. ... Wie, die fahren...nach Müngersdorf? Ja klar, nehmt mich mit, sonst hätte wir uns am Eingang: 23 getroffen, nee umso besser... dann kommt mich abholen! Ja. Ich freue mich auch. Bis dann!“



Anna warf den grünen Hörer zielsicher hinter die Wählscheibe. „Mama, Gaby fährt mit zum Fußball, .. ich mach mich dann fertig. Um 15:30 Uhr geht das Spiel los.. ich werde gleich abgeholt. Gabys Eltern wollen eh nach Köln, die nehmen uns mit. Tschüßieeeeeee“

Als der goldene Mercedes von Gabys Eltern auf den Parkplatz vor dem Müngersdorfer Stadion fuhr, hatte Gabys Vater zufälligerweise nichts besseres zu tun,

als neben dem Wagen von den Rummenigges zu parken.



So hielt er gleich den Vater von Michael und Karl Heinz Rummenigge an und bat für Gaby und Anna um ein paar Autogramme. „Gott ist mir das peinlich!“, die Augen verdrehend entschuldigte sich Gaby für ihren Vater. Unauffällig zog Anna Gaby von ihren diskutierenden Eltern weg und rannte mit ihr Autogrammkarten winkend zum Stadion.


Dass das Spiel Bayern gegen Köln 0:2 von den Kölnern gewonnen wurde (selbst Litti, der Lieblingsfußballer von Anna schoss ein Tor) tröstete Anna nicht, da sie nach der ersten Halbzeit wegen schlimmen Zahnschmerzen nach Hause musste.


„So ein Pech aber auch!“, stöhnte Gaby, als sie die Straßenbahnkarten für Anna und sich kaufte, „aber dafür haben wir uns schön mit Karl Heinz über seinen kleinen Bruder Michael unterhalten können!“ Anna grinste und hielt sich ihre schmerzende Wange.


„Mann, meine Zahnschmerzen, aber wenn ich es mir so recht überlege, hätte ich mich so gerade noch von diesem Michael behandeln lassen, auch wenn es ein Bayer ist!“

„Anbohren, meinst du wohl eher?“, kicherte Gaby. „Freundchen, Freundchen, riskiere du keine dicke Lippe, dann kannst du gleich mit zur Behandlung gehen!!“ jammerte Anna und hielt ihr die Faust unter die Nase.


„Noch so`n Spruch, Kieferbruch!“, konterte Gaby und lacht laut. „Na komm, die nächsten Karten habe ich schon besorgt. Europapokal der Pokalsieger. U. Dozsa Budapest gegen 1 FC Köln, bis dahin hast du deine Zahnschmerzen vergessen.“

„Gaby.. du bist ein Schatz!“


© Capri


Freitag, 14. September 1979

Uptown Girl 9


Uptown Girl 9
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Der nächsten Treffpunkt, dem Zoologischen Garten und wurden langsam wieder alle Münder und Augen aufgerissen. Insgeheim hoffte der ein oder andere vielleicht ein Mädel, wie „Christiane F.“ oder einen Typen, wie ihren Detlef zu entdecken.


Dieser Tag war schon war ein besonderes Erlebnis, Anna kam sich mit ihren Freundinnen wie billigen Statisten vor, wie sie sich entgeistert die Jugendlichen in ihrem Alter ansah und äußerlichen Unterschiede feststellen mussten. Einige dieser Berliner- Teenager identifizierten sich eher mit der Punkszene, als mit der Pop & Wave oder neuen deutschen Welle- Generation. Anna sah an sich herunter und kam sich so spießig vor, dass sie nicht einmal ihre modischen Aspekte gut hieß. Nachdenklich fütterte sie eine junge Ratte, eines gleichaltrigen Mädel, dass mit schwarzgeschminkten Augen, Sicherheitsnadeln in ihren zerstochenen Ohren, zerrissenen schwarzen Strümpfen und einer viel zu großen Lederjacke auf der Straße saß. Von überall erklang dieser Standardsatz, der hier in dieser pulsierenden Großstadt vollends ausgelebt wurde. „ Haste mal `ne Mark? “

Zur Vergnügen aller Schüler zog man weiter bis zum Ku-Damm, Ecke Joachimstaler Straße, um dort das Berliner Panoptikum zu besuchen. Hier erfuhr Anna und ihre Freundinnen die Geschichten von Leuten, die schon Geschichte schrieben oder zumindest im Begriff waren, Geschichte zu machen. In der –Götterdämmerung- fand man Figuren des Mittelalters vor, so wurden hier zum Beispiel Zigeunerinnen und Bauersfrauen in alltäglichen Situationen gezeigt. Die –Verließe- schreckten Anna eher ab, als dass sie die Mädchen neugierig machten, und im -medizinischen Kabinett- wurde es Anna sogar richtig übel, als sie sich die eingemachten Gläser genauer betrachtete. Das -Milieu- erfreute eher die Jungens aus der Klasse, zumal detailliert ein Bordell vorgestellt wurde, während sich die Mädchen im -TV- Studio- und im kleinen –Spiegelsaal- die Nasen platt drückten, schon allein um einmal neben Jimmy Hendrix stehen zu dürfen. Es lohnte sich wirklich, hierfür Zeit mitzubringen.

Am Abend, nach einem gemeinsamen Abendbrot, wurde es sehr lustig auf den Zimmer. Die Reisetaschen wurden endgültig ausgeräumt. Dann stritt man sich um die obersten Schrankfächer, Klamotten wurden vertauscht und versteckt. Irgendeiner schrie nach seinem blauen KAPPA- Pulli, die Nächste suchte ihren BEE-DEE- BH, gleich nach ihrem NIKE- Turnschuhen und die Dritte wiederum suchte ihr BIC- Feuerzeug und die KIM-Zigaretten und die Vierte vermisste gute Musik, die dann auch gleich laut vom Band ablief.


„ You- you’ re full of wonder, a fairest girl I see,

You, emotions get in stronger, why don’t you feel like me.

I feel in every second, my hearts recalled your name,

I’m searching for an answer, why don’t you feel the same?“


Das dadurch der ein oder andere Boytronic-Junge in das Zimmer angelockt wurde,

schien sozusagen unvermeidlich, allerdings auch, dass die Lehrer von dem Getümmel auf den Zimmern 145 Wind bekamen. Zuerst schien es, dass Anna und ihre Freundinnen würden wieder nach Hause geschickt werden. Doch nach einer langen Unterhaltung mit ihrer Henna gefärbten Mireille Matthieu- Haarschnittigen Deutsch und Englisch Lehrerin, sowie dem „ Tierfreund-Zeitschrift“ verkaufenden Bio- Lehrer, der nur in Wrangler Hosen, Birkenstock und Pullunder, mit aufgeklappten Polokragen herumlief, überzeugten die Schülerinnen ernsthaft, dass sie auch mit dem kleineren Übel leben könnten. Und das hieß in diesem Fall, zwei Tage Küchendienst! Danach hielten sich die Mädchen schwer zurück gehalten, weiter Türklinken mit Zahnpasta einzuschmieren und den Jungen Salz in die Zuckerdosen zu schütten.

Die nächsten Tage waren verplant, mit Senat und Museeumsbesuchen, Ausflüge und einer kleinen Reise, nach Ost-Berlin. Die Jungens überlegten sich schon vorher, was sie sich alles kaufen wollten, für die fünfundzwanzig Mark Zwangsumtausch und spekulierten auf Werkzeug, Küchenwaren, Süßigkeiten und Alkohol.


Jedoch enttäuscht, von all der übertriebenen Unfreundlichkeit der uniformierten Grenzler und den begegnenden Ostberlinern, blieb ein beklemmenden und ungutes Gefühl zurück, dass den jugendlichen „Wessis“ dumpf entgegenschwang. Annas Blicke wurden ebenso prüfend und auch ängstlich. Es fehlte ihr an Verständnis, zumindest ein paar Stangen Zigaretten oder ähnliches für ihr DDR-Geld zu kaufen und so verschenkte Anna schlussendlich ihre Münzen an einem Penner, der am Ostbahnhof saß und bettelte.

Am späten Abend sagte Anna im Kino zu ihrer Freundin Linda, „ Ist schon komisch, jetzt sitzen wir hier im Gloria in der ersten Reihe und sehen uns Psycho II an, aber die wurstigen übergroßen Finger von Anthony Perkins und das Messergewetzte hinter den Duschvorhängen können mich noch lange nicht so erschrecken, wie der Besuch heute in Ostberlin.“


„Mir geht es genauso!“, flüsterte Linda Popcorn kauend zurück.

„Aber irgendwie ist es schön, mit der ganzen Klasse hier zu sein,

ist ja doch `ne schöne Clique.“

„Pssst, es ist spannend, ja, Anna, hast Recht!“

„ Ja, ja. ... meine Güte, stell dir das noch mal vor,

ich darf gar nicht dran denken!“

„Was denn, Anna, mach hin!“

„Na, der Alexanderplatz und diese Kaufhäuser..

hattest du zum Beispiel diese veralteten Bindungen an den Skiern gesehen?“

„Anna, es ist gut, halt den Schnabel jetzt!“

„Ja, ... hm, und diese seltsamen Kochtöpfe, schon alles komisch .. irgendwie!“

„Anna!“

„Wenn wir in ein paar Tagen zurück sind,

werden die ganzen Vorstellungsgespräche auf uns zu kommen. Ganz sicher.. bald!“

„Anna!!! Wer will daran schon denken, wenn vor mir eine nackte,

tote Frau in der Eiswürfeltruhe unentdeckt bleibt?“

„Wie bitte, ...

Eiswürfel willst du jetzt haben? Hast du Duaaaaaaarst?“

„Sei endlich still.. mir ist schlecht!“

„Linda.. was hast du denn?“

„Shhh shhh.. Ruhe da vorne!“

„ Linda, warum würgst du denn so? Ist dir übel?“

„ Hust hust, spei spei!“

„Gott sei Dank sitzen wir in der ersten Reihe!

Mit dir kann man auch nirgends wo hingehen.

Du göbelst wie Werner aus den Wernerheften, Linda?

Das ist klassischer Würfelhusten, würde Meister Röhrig sagen,

oder hieß der Aurich, ich weiß es nimma.. Lindaaaaaaaaaaaargh !!!“


© Capri

Dienstag, 14. August 1979

Uptown Girl 8


Uptown Girl 8

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Klassenfahrt nach Berlin


Alle Schüler in der Penne schienen irgendwo aufgeregt und vorfreudig zu sein. Einige Jungens rannten spaßend wie OTTO herum und imitierten ihn auf’s Feinste. Schlagwörter wie „Frauuu Suuuhrbier, Ääääägypten, Keili und –Einen hab ich noch!“, fielen immer wieder. Das Gejohle war riesengroß. Gegen neun Uhr legte sich die Aufregung, als sich die gesamte Klasse am Schulhofparkplatz versammelte.


Die Schüler wurden von einem MEIER-REISEN-BUS abgeholt und zum Kölner Bahnhof gebracht zu. Von dort aus winkte Anna der schluchzenden Mütter und den gedankenvertieften Vater zu, als der Bus und wenige Zeit später der Zug sich Richtung Berlin davon bewegte.


Annas Mutter steckte ihrem „Kind“ noch schnell ein bisschen Taschengeld zu.

„ Zum Naschen!“ flüsterte sie Tränen erstickt und hoffte, dass Anna nicht zu sehr an Heimweh leiden sollte. Ein dicker, nach Kirsch schmeckenden Gloss-Kuß zierte zum Dank wenige Sekunden später die Wange der Mutter, dafür roch sie nach dem blauen -My Melody- ihrer Tochter. „ Macht keinen Blödsinn!“


Doch acht Stunden Bahnfahrt stand der Klasse bevor und Annas Abschiedschmerz verflog schnell. Zu Viert teilte sie sich mit ihren besten Busenfreundinnen ein Abteil,

zu Anna gesellte sich Bianca, Linda und Gaby und es war klar, dass bei der Zimmeraufteilung in dem Jugendgästehaus am Wannsee die Bettenverteilung auch nicht neu mischen müsste, sondern man schon jetzt wusste, wer oben schläft! *g


Die Mädels spielten Karten, erzählten, sange und fragten sich aus. Unter anderem fragten sie sich, was man alles auf eine einsame Insel mitnehmen würde und Anna antwortete:

„Meine Familie, meine Freundinnen, mein Tagebuch und ein Telefon!“

Linda lachte sich schief und bewarf Anna mit Resten ihrer de Beukelaer Butterkekse.

„ Was ist daran witzig!?“

„Du bist witzig, Anna!“

„Na klasse, gib mir lieber deine blauen Schlumpf-Weingummis

oder ein paar Katjes Pfoten ab!“

„Was bietest du dafür?“

„ Frisch geschmierte Butterbrote, mit Gurkenscheiben und Tomaten!“

Schenkel wurden geklopft und Anna schämte sich nicht wirklich,

war aber froh, dass sie nicht erzählt hatte,

dass sie beinahe den Konsalik Klassiker

„Wer stirbt schon gerne unter die Palmen!“ mit auf die Insel genommen hätte.

Anna rief zwischen durch ihre besorgte Mutter an und tröstete sie damit,

dass sie gerade durch Braunschweig gefahren sei und am Hauptbahnhof,

des weiteren, frische Lunchpakete von Oma und Tante entgegen genommen hatte.

*noch peinlicher


Anna entschuldigte sich bei ihren mitreisenden Schulkameraden, indem sie die gerade erhaltenden Berliner und echt original Braunschweiger Prilleken verteilte. Nach weiteren Stunden fuhr der Zug in Berlin ein, jeder suchte sich seine ESPRIT

und ADIDAS- Taschen zusammen und stolperte den aufgeregten Lehrern hinterher.

Wenige Zeit später standen Anna und ihre Freundinnen vor der Jugendherberge und inspizierten sie genau. Der Grunewald lud zum Holzhacken und der Wannsee

zum Baden ein.. hier also, zwischen den roten Backsteinen und den eingefassten roten Fensterrahmen, sollte sie nun eine ganze Woche verbringen.


Der Herbergsvater, der nicht Joachim Witt hieß, hinterließ einen freundlichen Eindruck auf die Jugendlichen und verteilte lächelnd die Hausordnung und die Zimmerschlüssel. Am nächsten schlaflosen und durchquatschten Morgen,

erlebte die gesamte Klasse eine Stadtrundfahrt durch Berlin und Anna war froh,

sich irgendwo einen Übersichtsplan der Berliner Verkehrs Betriebe werfen zu können, um sich einen Überblick verschaffen zu können.


Es war klar, dass sie und ihre Freundinnen ein Photo vom Sonderzug nach Pankow machen wollten. Udo Lindenberg hatte ihn zu oft besungen. Auch der Rosa Luxemburg- Platz sollte zumindest mit der kleinen Kodak fotografiert werden, die man lässig in der roten Gillio- Jackentasche trug. Warum nannte sich eigentlich das Spandau Ballet nach Spandau, und gab es wirklich hier in Richtung Krumme Lanke eine Station, die Onkel Toms Hütte hieß? Was würden sie alles in Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Kreuzberg, Tegel und Bahnhof Zoo erleben?


Fragen über Fragen, jedoch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Denn als Anna an Kartenverkäufer mit ihren Schwarz-Weiß Postkarten erblickte, die das Bild des ausreißenden Soldaten zeigte, der über Stacheldraht, ahnte sie, was auf sie zukommen würde. Als erstes sah die Schulklasse den Checkpoint Charlie, dann sprang ihnen die Mauer in den Blickwinkel, sie begannen, die Kreuze der getöteten Flüchtlinge zu zählen, dann die Wachtürme, den Todesstreifen. Atemlos versuchten sie den Grenzbereich zu erfassen, und dann wurde es im Bus ganz still.


Nachdenklich setzten sich später alle Schüler, nach einem Spaziergang entlang der Mauer, wieder in die Sitze ihres Busses. Eine Weile lang wurde so gut wie kein lautes Wort miteinander zu sprechen.


© Capri

Samstag, 14. Juli 1979

Uptown Girl 7


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Uptown Girl 7



Vamos a la playa !


Der Campingplatz an der Costa Brava war Anna seit ihrer Jugend bekannt, hier war sie sozusagen während der letzten zehn Sommer, als Kind aufgewachsen. Hier kannte sie sich aus und konnte unbekümmert am Strand liegen, nicht aber doch ab und zu an Wolfgang und seiner schweren Maschine zu denken. Jedoch neue Leute am Strand kennen zu lernen, fiel Anna nicht schwer, und schon bald lag sie, statt mit ihren Eltern, lieber mit Sabine, Dietmar und Ulli zusammen auf den nach Kokosöl riechenden Bastmatten, um sich die ersten Sandflohbisse und Sonnenbrände einzufangen, während sie Rod Stewarts „Baby Jane!“ lauschten. Die heiße Sonne Spanien tat ihr übriges und Anna zahlte den ersten Tribut.


Da half auch kein Sonnenöl von Piz Buin, um das nahende Übel zu vereiteln. Annas Schultern pellten sich schon nach wenigen Tagen rosarot und zart fleischig, und von dem Sonnenbrand auf dem Fußspann und in den Kniekehlen wollte sie erst gar nicht sprechen.


Es war doch nicht so gut gewesen, so still zu halten, als Dietmar ihr am Strand so offensichtlich nah kam, von wegen eincremen und so. Diese diverse „unwichtigen“ Partien schien der gute Junge im Eifer des Gefechtes übersehen zu haben. „What a feeling!“


Damit erledigte sich also auch ganz schnell das Thema „Dietmar“ und die nächsten Abende an der Tischtennisplatte, dem Treffpunkt der Campingplatz- Jugendlichen, fragte Anna (deren Schultern mit Penatencreme zu gepappt war) Dietmar nicht mehr, ob er beim Rundlauf in seinem turbo „Enjoy Cocaine“ – T-Shirt mit machen wollte.

In den nächsten Tagen lieh sich Anna ein High Fly- Surfbre, um Dietmar am Strand aus dem Weg zu gehen und erprobte sich im Kampf gegen die Naturgewalten, sprich den hiesigen Wellen.


Aber es dauerte nicht lange und das Segel lag achtlos am Strand, während sich Anna auf der Brett treiben ließ und ihrem abgepellten Rücken den Rest gab. Nach einem Sprach- und surfigen Crash-kursus mit ein paar „Top Fitten“ Schweizern und Holländern lag Anna abends platt in ihrem kleinen Zelt vor dem Wohnwagen ihrer Eltern, und reagierte nicht mehr darauf, als man ihr Zelt nächtens mit kleinen Kieseln bewarf und an der Reißleine zog, um zu sehen, ob sie schon im Bett ( bzw. auf der viel zu kurzen Textilluftmatratze ) lag, deren Luft unbekümmert und portionsweise verströmte.



Alles in einem war der Spanienurlaub mehr als gelungen, außer dass Annas Weisheitszähne wuchsen und auf Dauer auch keinen Sinn bei gegrillten Rippchen und Würstchen am Lagerfeuer machten. Kartoffeln wurden in Alufolie hüllte und in die Glut geworfen, und alle Urlaubsbekannten verewigten sich in Annas stoffbezogene Diarys mit ein paar lieben Zeilen. (( die schon einem Eintrag in dem ledergebundenen Gästebuch ihrer Eltern daheim glichen.))


Und dann wurde sich am Strand, unter Tränen im Mondlicht verabschiedet... carried away, by the moonlight shadow..., .. als Anna endlich nach vier langen Wochen ihr braun / beiges Jugendzimmer und den grünen Teppich betrat, schwor sie sich, die nächsten elf Monate, keinen 4.5o Meter großen/ kleinen Wohnwagen zu betreten. Sehnsüchtig schaltete sie den Fernseher an, um den drei Engeln für Charlie ein Buenos Dias zu hauchen und an die letzten Zeilen zu denken, die sie in Spanien in den Sand geschrieben hatte.


" Es ist der kräftige Nordostwind,

der die Pinien an den alten Küstenstraßen beugt und zerzaust.

Auch wenn der Mistralwind mal nach lässt,

richten sie sich nicht wieder auf!"


Aber ich werde zurück kehren ... ANNA


© Capri

Donnerstag, 21. Juni 1979

Uptown Girl 6


Uptown Girl 6


Am nächsten Tag traf sich Anna mit ihrer Freundin in der Stadt, um sich im Bazaar de Cologne neue Fioricci und Lacoste- Klamotten anzusehen. Im wissen um die unerschwinglichkeit dieser teuren Markenartikel, griffen sie schluß endlich dann doch nach den blauen Fruit of the Loom- T-Shirts und den dunkelblauen Edwin-Jeans, mit der Naht nach innen. Rote Espandrillos, oder im Fachjargon Alphagattas genannt, fielen ihrer Kaufwut zum Opfer. Ein weiterer, mit mehr reihigen Volants, benähter Miniroc wurde vom rarer Taschengeld gekauft, sowie zwei Nietengürtel in rot und weiß. Dazu zwei verschiedene rote Plastik-Ohrringe, in Tropfenform ( mit einer echten Feder dran), und ein weißer Armreif, der sich auf ihrer braunen -FreibadnachderSchule-Haut richtig gut machte, komplettierte den Shoppingausflug.



„Ich brauche noch Sonnencreme und After Sun für meinen Spanien-Urlaub!“ fiel Anna ein und sie rannte mit Gaby in die nächste Stadtapotheke, um sich am Geschäftsthresen einige Pullmoll zum Schnellverzehr heraus zu drehen, und sich ein Medi und Zini- Poster zu den Sonnencremetuben einpacken zu lassen.

„Wirst du heute Abend auch wieder Formel Eins, mit Ingolf Lück sehen?“, fragte Anna Gaby, als diese Anna an der rechten Schulter mit ihrem Mokick nach Hause zog. Anna bestätigte Gabys Frage freihändig fahrend und Brauer Bär- lutschend, zwischen dem Karamel-Kern und der Schokolade, dass sie gelesen hätte, dass David Bowie’s neues Lied „Little China Girl“ vorgestellt werden würde.



„Ich freu mich drauf, wir können ja danach noch mal kurz telefonieren, war schön mit dir.. bis denne!“, verabschiedete sich Anna und düste trampelnd nach Hause.

Abends erinnerte Gaby Anna am Telefon, dass sie am nächsten Tag bloß nicht Mel Sandocks Hitparade auf WDR 2 verpassen sollte! „Sounds a Bounds??? Ach was, wie könnte ich das vergessen, dass muss ich noch schaffen, wenn ich nach Spanien noch einigermaßen gute Mucke mit nehmen will. Ich fahre ja erst am Wochenende. Vielleicht hab ich ja sogar noch Glück, und kann mir Rockpalast, mit all den Stars wie Nena, Little River Band, Robert Palmer, Man at Work und so weiter ansehen.“

„Du hast es so gut!“, stöhnte Gaby, „ich muss in den bayerischen Wald, zu meinen Verwandten!“ *g


„Ich schick dir eine Postkarte.. mit aufgenähtem Flamenco-Kleid!“, frotzelte Anna.

Sommerferien ... Nun konnte die Reise beginnen, Musik dröhnte im Walkman, der Snoopy- Rucksack war gepackt, u. a. mit einem Vier- gewinnt- Reisespiel und einem Sarah- Kay-Block für Nummernschilder- Sätze basteln.



„Wann sind wir endlich da?“, maulte Annas kleine Schwester, während der Mercedes mit neuer Rückscheibe und nachziehendem Eifelland- Wohnwagen durch halb Deutschland, Schweiz und Frankreich düste.

„In drei Tagen!“, antwortet der Vater in gelassenster Ruhe, die einem nur den Angstschweiß eines Marlboro-Urlaubes abenteuerlich spüren ließ.



„Denn wir haben ja schon jetzt U R L A U B!“ schob er eindringlich hinterher. Gegen Abend wurde auf einem Autobahnrastplatz, neben etlichen Michelin-Männchen ausgerüsteten LKW`s aus allen Herren Ländern geparkt.


Annas Mutter zückte den silbernen Dosenöffner und schüttete den Inhalt eine Feuerzauberkonserve in einem weißen Emaille-Topf, um diesen dann auf den Gasherds des Wohnwagens zu stellen. Mit ungetoasten Weißbrot, löffelte sich die Familie die warme Suppe in den Bauch, um dann nach diversen Umbauten des Eifellandes, neben den laufenden Kühlaggregaten der LKW’s vorfreudig auf die spanische Sonne einzuschlafen.


© Capri

Freitag, 18. Mai 1979

Uptown Girl 5


Uptown Girl



Nur noch ein paar wenige Tage bis zu den großen Ferien. Anna war schon voller Vorfreude und ihre Flirtfühler, die ihre Locken bändigen sollten, wippten ebenso unruhig, wie ihre zappelnden mit Stulpen bestrickten Waden und Füße, unter dem Pult herum. Ihre kleinen Füße steckten in schweren roten Buffalo Boots, ein Muß, trotz der angehenden sommerlichen Temperaturen.


Ein Blick auf eine ihrer neuen Swatch bestätigte Anna, dass es sich endlich lohnte die Tage bis zu den Zeugnissen „den allseitsbeliebten Giftblättern“ und zu dem sehnsüchtigen Ferienbeginn rückwärts zu zählen. Die in farbigem Plastik eingeschlagenen Schulhefte und Bücher wurden mit dem längliche Kuli- signierten und bemalten Ledermäppchen zugezogen und in den hippen Bastkorb neben den Stricknadeln Größe 6 und dem lila Bändchen begarnten Luftmaschenpulli gelegt.


Hastig wurde der letzte Schluck Caprisonne ausgetrunken, die Alutüte aufgepustet und mit großem „Hallo“ zum Platzen gebracht, in dem man mit seinen braunen Boots treffsicher auf die Tüte sprang. Ein weiterer Kick, und die Getränkefolie flog zu den anderen Sunkist- Trinkpäckchen in den dafür vorgesehenen orangen Plastikmülleimer, der unter dem Klassen-Handwaschbecken mit den fliesenbeklebten Pril-Blumen stand. Hier kämmten sich Annas eitle Mitschülerinnen vor jeder neuen Schulstunde ihre langen glatten Haare, und versuchten mit der kleinen Holzrundbüste, ihren Pony nach rechts und links außen zu drehen. Zur Not half bisschen Spucke oder reingeknetetes Kreidewasser vom Tafelschwamm oder die eben erwähnten Flirtfühler.


Die Wände der Schulklasse, waren nach einem Klassenpflegschaftsvorschlag der Eltern von den Mitschülern selbst angemalt worden und lenkte kein bisschen mit dem himmelblauen Wölkchen Hintergrund und der heran nahenden Turbo- Propp- Maschine ab. (( Marke „Kilroy is watching you“))


Vom Schulflur erklang des öfteren das Klassen-Lied von Klaus & Klaus „Da steht ein Pferd auf dem Flur!“ und übertönte manch mal den Schulgong, der ansonsten mit aufkeimende Gejohle quittiert wurde. Anna wickelte sich ihr Beduinentuch im schwarz-weißen Arafat-Muster, bei dieser Hitze nicht um ihren Hals, sondern über ihren schaumstoffwattierten Sattel. Und dann ging es ab auf die Bonanza- Räder, die am Fahhrradhof zu Hauf, hinter der Schule standen.


Nach wenigen Kilometern, auf dem Weg nach Hause, hatte Anna den Hinterreifen platt, und sie überlegte, ob es Joops späte Holland-Rache sei, weil sie sich immer noch keins von diesen grünen Hollandrädern mit integrierten Einkaufskorb am Lenkrad gekauft hatte. Doch Gott sei Dank fuhr Wolfgang mit seiner schweren Maschine, einer 900er Kavasaki, an ihr vorbei und bot ihr seine versierte Hilfe an. Anna freute sich natürlich sehr, und ließ sich von Wolfgang den Reifen wieder aufpumpen und begleitend nach Hause bringen. Ganz aufgeregt und voller roter hektischer Flecken gestand Wolfgang ihr, dass er die ganze Strecke über starkes Herzklopfen gehabt hätte und er sich nun aber trauen würde, zu fragen, ob sie mit ihm zum Schwimmen fahren würde.


Anna kam das doch alles reichlich seltsam vor und verklickerte dem Guten, dass sie ihre Periode hätte und ungern in diesem sagenumwobenen Zustand schwimmen gehen würde. ( Wolfgang würde es ja doch nicht verstehen, dass sie sich lieber mit ihren Freundinnen aus dem eigen gegründeten „ The Three Tea Time – Club “ zum Teetrinken und Kekse essen verabredet hatte)


Wolfgang verabschiedet sich indes und hoffte auf ein anderes Mal, denn er wäre es ja schließlich leid, dass immer nur Jungens hinten bei ihm auf der Kavasaki sitzen würden und er bräuchte auch mal eine angenehme Abwechslung! Von daher erledigte sich das Problem –Wolfgang- für Anna recht schnell von alleine.


Am nächsten Tag war es außergewöhnlich heiß und Anna verabredete sich mit ihren Freundinnen zum Schwimmbad. Draußen vor dem Schulhoftor wartete Wolfgang schon und erneut lud er Anna zu einer Spritztour ein.

„Du, wir können ja zu mir fahren, meine Mutter hat einen leckeren neuen Kandiskuchen, Russisch Brot, Eis-Tee, Apfelsaftschorle, und .. ach, such dir was aus, wenn du bei der Hitze nichts warmes trinken magst!“


Aber Anna winkte lachend ab und erklärte ihm, dass sie schon verabredet sei

und schüttelte Korb gebend den Kopf, als Wolfgang traurig auf seinem Hinterrad davonfuhr.


„ ... und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt und bring die Liebe mit, von meinem Himmelstrip. Denn die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spaß, viel mehr Spaß, als irgendwas!!“ trällerte Anna auf dem Weg zum Freibad, fuhr sich durch ihre frisch gewellten Dauerlocken, die sie nicht mehr glatt kämmen musste und von den anderen Weibern aus ihrer Klasse unterschied.


Das Wolfgang mit seiner Maschine ihr bis in das Freibad hinterher fuhr, um ihr dann mit einer Bombe vom Dreier-Turm zu imponieren, wobei sich ihre neue Dauerwelle verabschiedete, und nach dem „Döppen“ oder auch Untertauchen nur noch einer Wasserwelle glich, dass hatte sie zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen können.


© Capri

Montag, 16. April 1979

Uptown Girl 4

Uptown Girl 4



„Hi, ich bin der Joop und wer bist du?“

„Ich heiße Anna und deine Anmache ist recht billig, wie euer Kaffee!“

Joop lachte und antwortete:

„Sprich nicht so schnell, sonst verstehe ich dich auch nicht, kommst aus Duitsland?“

Anna schmunzelte nickend und zeigte auf Joop’ s Sticker, die er an seiner hellen Jeansjacke trug.

„Ist das hier in Holland Mode? Soetwas kenne ich gar nicht!“

„Suche dir einen Button aus, ich schenke dir einen Sticker als Erinnerung!

Aber dafür spielst du mit mir und meiner Clique Wahrheit oder Pflicht,

da hinten an dem Tisch, kennst du das wenigstens?“

„Solange du nicht Flaschendrehen oder Schnick- Schnack- Schnuck mit mir spielen willst!“

„Was hälst du von Schiffe versenken?“, lachte er sie an und ohne lange zu überlegen, zog Joop Anna mit über die Tanzfläche und stellte sie seinen Freunden vor.

Einige Stunden später verließ Anna den Tanzschuppen mit roten Wangen, klopfenden Herzen und einem „ Joe Cool“ Snoopy-Sticker auf ihrem hellblauen Blouson.

In ihrer zittrigen Hand hielt sie einen weiteren Zettel.


Joop, der Holländer, der nicht nur gut aussah, sondern die schönsten und unverständlichsten Komplimente machen konnte, hatte ihr seine Adresse gegeben,

nachdem er sie Zungenschlagend abgeküsst hatte. Sein „Damit du mich nicht vergisst, Lady!“ klang ihr noch nachhallend in den Ohren.


„Wo warst du?“, fragte Annas Mutter mit verheulten Augen, als Anna schwebend auf dem elterlichen Stellplatz zurückkehrte.

„Tanzen.. vorn, am Eingang des Campingplatzes, was ist denn passiert?“

„Ein paar randalierende Holländer haben uns so einen blöden Briefkasten

in die rückwärtige Windschutzscheibe geschmissen, da schau mal,

auf dem Rücksitz liegt das Mistding noch!“

„Und wo ist Papa und die Kleene?“

„Deine Schwester schläft schon längst

und Papa ist bei der Polizei, er lässt dort das Unfallprotokoll aufnehmen!“

„Meine Güte! Was für eine Panik, und nun fängt es auch noch an zu regnen!“



Hals über Kopf wurden nicht nur Planen in das Vorzelt gelegt, sondern auch über den Mercedes gespannt, um das Schaden nicht noch mehr zu verschlimmern. Der Rasen um den Wohnwagen weichte zusehends auf und Annas Mutter bekam eine Krise nach der anderen. Annas Vater erklärte später nach dem Polizeibesuch, dass er zurück nach Aachen fahren müsste, um eine neue Scheibe für den Wagen zu besorgen.


„Und was ist mit unserem schönen Campingwochenende?“, heulte Annas Mutter.

Annas Vater reagierte nur noch entnervt, ähnlich wie bei schief eingetrimmten Heringen.

„Leiht euch von mir aus eins von den verdammten Fiets bei den Holländern aus und radelt nach Valkenburg, geht in die Steinkohlemiene oder von mir aus einen Weinladen besuchen, schaltet zumindest irgendwie den Scheiß Landregen ab

und schwört mir, dass wir Pfingsten nie wieder nach Holland zum Campen fahren!“


Anna musste grinsen und faltete in ihrer Hand den Zettel von dem unbekannten Jungen auf der Autobahn, mit dem Adressenzettel Joop's zusammen. Auf der heimatlichen Kirmis hätte sie sicherlich nicht minder so viel Spaß gehabt, wie an diesem Pfingstwochenende in Holland. Nach dem Einsetzen der Autoscheibe am nächsten Morgen, fuhr die Familie ohne die mitgeschleppten Nachbarn, wieder gebeutelt, Kaffee, Blumen und Guldenlos nach Hause und weder Valkenburg, noch Joop, oder der Junge von der Autobahn sahen Anna jemals wieder.


© Capri


Donnerstag, 15. März 1979

Uptown Girl 3

Uptown Girl 3



Holland-Valkenburg. Warum gab es nur diese Zeiten, wo Hinz und Kunz nach Holland fuhr, um dort billig Kaffee und Blumenzwiebeln zu kaufen. Gut, Anna liebte die „ zoure Drops“ , diese salzigen Lakritzen, die es in den heimatlichen Gefilden nicht zu kaufen bekam, außer den Weichkaramellen von MELLE.


Aber nach Holland Urlaub machen, und sei es nur für ein verlängertes Wochenende?

Anna ärgerte sich und wollte den Ausflug mit gekonnten Verschlafen boykottieren, aber mit ihren Eltern war nicht zu spaßen. So verlief die Anreise für den Wochenendtrip mit ein paar Nachbarn der Eltern, viel zu früh und völlig unspektakulär, außer dass Anna im Auto auf der Autobahn mit sämtlichen Autofahrern

aus Langeweile flirtete, nachdem sie sich weigerte zum wiederholten Male „ich sehe was, was du nicht siehst!“, mit ihrer jüngeren Schwester zu spielen. Aus ihrer James Dean – Tüte vom Jeans Palast, zog sie ihr weinrotes Diary heraus und trennte vorsichtig einen Zettel ab.


So notierte sie sich während der Fahrt ein paar auffällige Details. Wenn sie zurück nach Deutschland kehren würde, müsste sie unbedingt diese Such-Annonce zur Bravo- Zeitschrift schicken und auf Antwort hoffen.

„ Ich suche den Jungen (braune Haare, Kapuzenpulli, Fernglas um den Hals)

der am Pfingstsamstag (21. Mai 1983) in einem roten Fiat Panda AC-MS-67

(bepackt mit Surfbretter) und Mistral- Aufklebern auf der Heckscheibe über die holländische Grenze fuhr, später nach Aachen abbog und mir dabei zuwinkte. Wir haben über einige Kilometer miteinander geflirtet, bis dass wir uns aus den Augen verloren!“


Träumend lehnte Anna noch im Font des elterlichen Wagens, knöpfte sich ihr dunkelblaues John Wayne Hemd wieder zu, legte etwas rosafarbenen Lippgloss auf und hoffte, dass sie bald in Valkenburg ankommen würden. Nachdenklich schob sie ihren Lakritzlutscher von einer Wangenseite in die andere und spulte immer wieder das Lied von Michael Jackson „ Beat it!“ zurück .



Was ihre Freunde auf der Dorfkirmis wohl im Moment alles erleben würden.

Ihre Freundin stand sicher mit Paradiesapfel, Zuckerherzen und Liebesperlen bewaffnet an der Raupe und konnte sich vor Einladungen diverser Mitschüler sicher nicht retten. „Wann sind wir endlich da?“, maulte Anna missmutig und setzte ihren Walkman wieder auf, den sie sich von ihrem ersten Babysittergeld gekauft hatte. Vier DM die Stunde.. , die Welt schien so ungerecht, zumindest die der ausgewachsenen Erwachsenen.


Die Ausfahrt Valkenburg nahte, aber nicht, dass man auf die Idee käme, zum Schlafen eine Pension aufzusuchen, nein, nach Holland musste ein Wohnwagen, Marke Eifelland gezogen werden. Allein, um den Holländern mal die Stirn zu bieten. Auf dem Valkenburger Campingplatz suchten sich Annas Eltern einen schönen Stellplatz aus und versuchten sich nach abkoppel des Wohnwagens, mit der Kunst des Vorzeltaufstellen. Anna verkrümelte sich wie zufällig, um die Gegend des Zeltplatzes auszukundschaften. Gibt es doch nicht Schlimmeres, als Väter, die einem beibringen wollen, wie man Heringe gerade in den Boden schlägt. Und sollte er die Bodenanker selber schief eingeschlagen haben, dann ahnte Anna, dass der Ausspruch kam, von wegen


„Das gehört so, der muss so schief sein, Scheiß Sandunterlage oder den Kiesel, der sich da quer legt, buddel ich als Briefbeschwerer aus!“ Anna zog sich schnell ihre neuen Ballerinas an und die rote Clochard- Krempelboxershorts. „Warum ziehst du nicht die weißen Espandrillos an?“, fragte ihre kleine Schwester, als Anna ihr unwirsch abwinkte. Ihr war in diesem Moment eingefallen, dass sie hier auf dem Campingplatz noch nicht einmal TV hier schauen könnte. Sicher gäbe es noch nicht einmal einen TV- Raum.


Und das gerade heute, wo wieder „Wetten dass,..." und der zweite Teil von „ Der große Blonde, mit dem schwarzen Schuh“ mit Pierre Richard lief!

„Ich will zurück!“, motze Anna vor sich her und fand in ihrer Schwester eine treue Mitgefährtin. „Ich schau mich mal um und erzähle dir später alles, halte mir den Rücken frei, ich bin gleich wieder zurück!“ Hektisch stopfte sich Anna ein paar Gulden in den ledernden Brustbeutel, den ihre Mutter ihr an das Herz gelegt hatte, gab ihrer Schwester noch ein paar Geldstücke als Schweigegeld und verschwand.


An der Camping- Rezeption machte Anna einen kleinen Schuppen aus, wo sich die holländischen Jugendliche der Handbalvereniging „Filarskis“ aus Hulsberg zum Tanzen trafen. Pogo zu tanzen, schien hier angesagt und Anna schob sich beobachtend

und zurückhaltend durch die Reihen. Hübsch anzusehende, nette Jungs, „ die blonden Kaasköppe“, wie der Vater die Niederländer nannte, säumten ihren Weg zur Theke, wo sie sich einen Consumptje Bon kaufte, und ihn gegen eine Cola umtauschte.


Nachdem die Pogophase vorüber schien und sich die Holländer an der Theke mit Heinekenbier stärkten, ließ der DJ Filmmusik ablaufen. Anna erkannte den Titel von Joe Esposito aus Flashdance und wiegte sich im Takt, wie bis dato nur Jennifer Beals tanzen konnte. Ein blonder Junge näherte sich ihr und sang ihr ein ...

„Lady- Lady- Lady – don`t walk this lonely avenue. Lady- Lady- Lady- let me touch the part of you, you want me too?” in`s Ohr..


“Sorry, ik kann und will niet verstand!” entgegnete Anna gekonnt lässig, mit dem besten Hollands- Slang, dass sie irgendwo mal aufgeschnappt hatte. Sich am Colaglas festhaltend und musterte sie den Möchtegern-Interpreten.


© Capri

Mittwoch, 14. Februar 1979

Uptown Girl 2


Uptown Girl 2



In diesem Moment rief eine Stimme bis zu ihrem Zimmer herauf. “Kommst du Essen?” rief ihre Mutter durch das Holzvertäfelte Treppenhaus. Missmutig stand Anna auf, drückte den gelben Plastik-Schreibtischstuhl mit ihren nackten Kniekehlen zur Seite, jener Stuhl, der im Sommer so gern nass an ihren schwitzenden Beinen

oder bloßen Rücken kleben blieb und ging schleppend zur Tür, an der ein lebensgroßes James Dean Poster hing.


„Hi, James.. hast auch so einen Bock auf gesundes Essen?“, stöhnte sie und trabte die Treppen in wenigen Sprüngen hinunter. Im Flur roch es nach Bratwurst und Gemüse und Anna schüttelte sich. „Du weißt doch, dass ich keine Bratwurst mag!“,

meckerte sie in Richtung Küche und Mutter, die Arme demonstrativ vor ihrer Brust überkreuzend. Die Abzugshaube dröhnte über den kochenden Töpfen und Frank Laufenberg von Radio Luxemburg kommentierte irgendein Ratequiz aus dem alten Küchenradio.


„Sicher weiß ich dass, du bist ja meine Tochter, wenn auch eine Schlechtgelaunte.

Ich hab für dich doch extra eine Frikadelle gemacht!“Erst Jahre später sollte Anna zufällig heraus bekommen, dass die Mutter auf längere Zeit, die Bratwurst aus der Pelle gedrückt hatte, um Anna daraus eine Frikadelle abzubraten.

„Hast die Hausaufgaben fertig?“, fragte Annas Mutter und stellte die Dunstabzugshaube aus. „Mutti, bitte... ich bin keine Zwölf mehr!“,

Anna ließ sich auf den Hocker fallen und riss ein Bändchen des buntgemusterten Polsters ab. „Ja.. ist ja gut, war ja nur gut gemeint!“ antworte die Mutter und legte die Frikadelle auf Annas Teller.


Anna beugte sich unschuldheuchelnd nach vorne zum Tisch und versuchte ihr Missgeschick mit dem abgerissenen Sitzpolster zu vertuschen, indem sie das Bändchen heimlich wieder unter das runde Polster schob. Annas Mutter griff in die Haare ihrer Tochter und zerwuschelte lächelnd die erste Dauerwelle.


„An die Dinger, auf deinem Kopf kann ich mich nicht gewöhnen!“

„Krause Locken, krauser Sinn, da oben steckt der Teufel drin!“, neckte Anna und nahm sich das Besteck zur Hand. „Guten Appetit!“ „Dir auch mein Schatz, lass es dir schmecken, wie war eigentlich die Schule?“ Anna kräuselte die Nase und fuhr sich schmatzend und sortierend, durch die Locken.


„Grausam, Erdkunde mit dem ätzenden Kremer.. ich hasse diesen Lehrer. Bei dem haben wir einen Test gepinnt, und dann hatte ich noch Deutsch beim Haster, und Bio, Englisch und SW, ach ne,.. das ist ausgefallen.“ Die Kartoffeln mit brauner Soße schienen Anna doch auf einmal zu schmecken. „ Mist, Mutti.. da fällt mir ein, ich muss noch mein Personalausweis und den Reisepass beim Einwohnermeldeamt abholen, kannst du mich nachher hinfahren?“


Annas Mutter legte noch etwas Kartoffeln und Gemüse auf dem Teller nach und überlegte kurz. „Ja, sicher fahre ich dich hin!“ „Zur Videothek muss ich auch noch,

habe vergessen den Sylvester Stallone Film weg zu bringen!“, Anna setzte ihr liebstes Lächeln auf. „Jetzt guckst du genauso blöd, wie dieser Rambo!“, schmunzelte die Mutter und ein paar Erbsen fielen ihr gekonnt aus dem Mund, zurück auf den Teller.

„Oh man, Mutti, du bist ja echt Top Fit!“ Anna lachte, „ ... hätte ich dir gar nicht zugetraut, dass du dich mit den Filmen so auskennst!“


„Danke, Anna! Du meinst wohl auch, dass ich mir nur Dallas und Denver-Clan angucke!“ Anna schob den leergegessen Teller zur Seite und trank einen Schluck Wasser aus einem Frisch gespülten Senfglas. „Da sag ich jetzt mal besser nichts zu!

Ich bin satt, kann ich aufstehen? Ich jump dann mal schnell hoch in`s Zimmer und such den Krempel zusammen, fahren wir in 10 Minuten?“ „ Sicher, Kind.. ich räum derweil den Tisch ab.“


Annas Mutter schüttelte den Kopf über ihre Tochter, als sie die Teller übereinander stellte und schimpfte leise auf die nicht vergehen wollende Pubertätsphase, während Anna durch das Treppenhaus rief, „Und außerdem ist morgen ein Turbo-Tag für mich.. kannst dir ja mal überlegen, wieviel Kirmisgeld du mir schenkst!“ Annas Mutter stutzte kurz und entgegnete ihrer Tochter bestimmend:


„Morgen fahren wir doch nach Holland, Schatz! Das mit der Kirmis wird wohl nichts werden!“ „Sehr witzig, Mutti.. das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ „Aber ja, mein Kind, morgen früh um acht Uhr geht es los!“ „Na super... !“


© Capri