Dienstag, 14. August 1979

Uptown Girl 8


Uptown Girl 8

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Klassenfahrt nach Berlin


Alle Schüler in der Penne schienen irgendwo aufgeregt und vorfreudig zu sein. Einige Jungens rannten spaßend wie OTTO herum und imitierten ihn auf’s Feinste. Schlagwörter wie „Frauuu Suuuhrbier, Ääääägypten, Keili und –Einen hab ich noch!“, fielen immer wieder. Das Gejohle war riesengroß. Gegen neun Uhr legte sich die Aufregung, als sich die gesamte Klasse am Schulhofparkplatz versammelte.


Die Schüler wurden von einem MEIER-REISEN-BUS abgeholt und zum Kölner Bahnhof gebracht zu. Von dort aus winkte Anna der schluchzenden Mütter und den gedankenvertieften Vater zu, als der Bus und wenige Zeit später der Zug sich Richtung Berlin davon bewegte.


Annas Mutter steckte ihrem „Kind“ noch schnell ein bisschen Taschengeld zu.

„ Zum Naschen!“ flüsterte sie Tränen erstickt und hoffte, dass Anna nicht zu sehr an Heimweh leiden sollte. Ein dicker, nach Kirsch schmeckenden Gloss-Kuß zierte zum Dank wenige Sekunden später die Wange der Mutter, dafür roch sie nach dem blauen -My Melody- ihrer Tochter. „ Macht keinen Blödsinn!“


Doch acht Stunden Bahnfahrt stand der Klasse bevor und Annas Abschiedschmerz verflog schnell. Zu Viert teilte sie sich mit ihren besten Busenfreundinnen ein Abteil,

zu Anna gesellte sich Bianca, Linda und Gaby und es war klar, dass bei der Zimmeraufteilung in dem Jugendgästehaus am Wannsee die Bettenverteilung auch nicht neu mischen müsste, sondern man schon jetzt wusste, wer oben schläft! *g


Die Mädels spielten Karten, erzählten, sange und fragten sich aus. Unter anderem fragten sie sich, was man alles auf eine einsame Insel mitnehmen würde und Anna antwortete:

„Meine Familie, meine Freundinnen, mein Tagebuch und ein Telefon!“

Linda lachte sich schief und bewarf Anna mit Resten ihrer de Beukelaer Butterkekse.

„ Was ist daran witzig!?“

„Du bist witzig, Anna!“

„Na klasse, gib mir lieber deine blauen Schlumpf-Weingummis

oder ein paar Katjes Pfoten ab!“

„Was bietest du dafür?“

„ Frisch geschmierte Butterbrote, mit Gurkenscheiben und Tomaten!“

Schenkel wurden geklopft und Anna schämte sich nicht wirklich,

war aber froh, dass sie nicht erzählt hatte,

dass sie beinahe den Konsalik Klassiker

„Wer stirbt schon gerne unter die Palmen!“ mit auf die Insel genommen hätte.

Anna rief zwischen durch ihre besorgte Mutter an und tröstete sie damit,

dass sie gerade durch Braunschweig gefahren sei und am Hauptbahnhof,

des weiteren, frische Lunchpakete von Oma und Tante entgegen genommen hatte.

*noch peinlicher


Anna entschuldigte sich bei ihren mitreisenden Schulkameraden, indem sie die gerade erhaltenden Berliner und echt original Braunschweiger Prilleken verteilte. Nach weiteren Stunden fuhr der Zug in Berlin ein, jeder suchte sich seine ESPRIT

und ADIDAS- Taschen zusammen und stolperte den aufgeregten Lehrern hinterher.

Wenige Zeit später standen Anna und ihre Freundinnen vor der Jugendherberge und inspizierten sie genau. Der Grunewald lud zum Holzhacken und der Wannsee

zum Baden ein.. hier also, zwischen den roten Backsteinen und den eingefassten roten Fensterrahmen, sollte sie nun eine ganze Woche verbringen.


Der Herbergsvater, der nicht Joachim Witt hieß, hinterließ einen freundlichen Eindruck auf die Jugendlichen und verteilte lächelnd die Hausordnung und die Zimmerschlüssel. Am nächsten schlaflosen und durchquatschten Morgen,

erlebte die gesamte Klasse eine Stadtrundfahrt durch Berlin und Anna war froh,

sich irgendwo einen Übersichtsplan der Berliner Verkehrs Betriebe werfen zu können, um sich einen Überblick verschaffen zu können.


Es war klar, dass sie und ihre Freundinnen ein Photo vom Sonderzug nach Pankow machen wollten. Udo Lindenberg hatte ihn zu oft besungen. Auch der Rosa Luxemburg- Platz sollte zumindest mit der kleinen Kodak fotografiert werden, die man lässig in der roten Gillio- Jackentasche trug. Warum nannte sich eigentlich das Spandau Ballet nach Spandau, und gab es wirklich hier in Richtung Krumme Lanke eine Station, die Onkel Toms Hütte hieß? Was würden sie alles in Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Kreuzberg, Tegel und Bahnhof Zoo erleben?


Fragen über Fragen, jedoch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Denn als Anna an Kartenverkäufer mit ihren Schwarz-Weiß Postkarten erblickte, die das Bild des ausreißenden Soldaten zeigte, der über Stacheldraht, ahnte sie, was auf sie zukommen würde. Als erstes sah die Schulklasse den Checkpoint Charlie, dann sprang ihnen die Mauer in den Blickwinkel, sie begannen, die Kreuze der getöteten Flüchtlinge zu zählen, dann die Wachtürme, den Todesstreifen. Atemlos versuchten sie den Grenzbereich zu erfassen, und dann wurde es im Bus ganz still.


Nachdenklich setzten sich später alle Schüler, nach einem Spaziergang entlang der Mauer, wieder in die Sitze ihres Busses. Eine Weile lang wurde so gut wie kein lautes Wort miteinander zu sprechen.


© Capri

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