Freitag, 14. September 1979

Uptown Girl 9


Uptown Girl 9
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Der nächsten Treffpunkt, dem Zoologischen Garten und wurden langsam wieder alle Münder und Augen aufgerissen. Insgeheim hoffte der ein oder andere vielleicht ein Mädel, wie „Christiane F.“ oder einen Typen, wie ihren Detlef zu entdecken.


Dieser Tag war schon war ein besonderes Erlebnis, Anna kam sich mit ihren Freundinnen wie billigen Statisten vor, wie sie sich entgeistert die Jugendlichen in ihrem Alter ansah und äußerlichen Unterschiede feststellen mussten. Einige dieser Berliner- Teenager identifizierten sich eher mit der Punkszene, als mit der Pop & Wave oder neuen deutschen Welle- Generation. Anna sah an sich herunter und kam sich so spießig vor, dass sie nicht einmal ihre modischen Aspekte gut hieß. Nachdenklich fütterte sie eine junge Ratte, eines gleichaltrigen Mädel, dass mit schwarzgeschminkten Augen, Sicherheitsnadeln in ihren zerstochenen Ohren, zerrissenen schwarzen Strümpfen und einer viel zu großen Lederjacke auf der Straße saß. Von überall erklang dieser Standardsatz, der hier in dieser pulsierenden Großstadt vollends ausgelebt wurde. „ Haste mal `ne Mark? “

Zur Vergnügen aller Schüler zog man weiter bis zum Ku-Damm, Ecke Joachimstaler Straße, um dort das Berliner Panoptikum zu besuchen. Hier erfuhr Anna und ihre Freundinnen die Geschichten von Leuten, die schon Geschichte schrieben oder zumindest im Begriff waren, Geschichte zu machen. In der –Götterdämmerung- fand man Figuren des Mittelalters vor, so wurden hier zum Beispiel Zigeunerinnen und Bauersfrauen in alltäglichen Situationen gezeigt. Die –Verließe- schreckten Anna eher ab, als dass sie die Mädchen neugierig machten, und im -medizinischen Kabinett- wurde es Anna sogar richtig übel, als sie sich die eingemachten Gläser genauer betrachtete. Das -Milieu- erfreute eher die Jungens aus der Klasse, zumal detailliert ein Bordell vorgestellt wurde, während sich die Mädchen im -TV- Studio- und im kleinen –Spiegelsaal- die Nasen platt drückten, schon allein um einmal neben Jimmy Hendrix stehen zu dürfen. Es lohnte sich wirklich, hierfür Zeit mitzubringen.

Am Abend, nach einem gemeinsamen Abendbrot, wurde es sehr lustig auf den Zimmer. Die Reisetaschen wurden endgültig ausgeräumt. Dann stritt man sich um die obersten Schrankfächer, Klamotten wurden vertauscht und versteckt. Irgendeiner schrie nach seinem blauen KAPPA- Pulli, die Nächste suchte ihren BEE-DEE- BH, gleich nach ihrem NIKE- Turnschuhen und die Dritte wiederum suchte ihr BIC- Feuerzeug und die KIM-Zigaretten und die Vierte vermisste gute Musik, die dann auch gleich laut vom Band ablief.


„ You- you’ re full of wonder, a fairest girl I see,

You, emotions get in stronger, why don’t you feel like me.

I feel in every second, my hearts recalled your name,

I’m searching for an answer, why don’t you feel the same?“


Das dadurch der ein oder andere Boytronic-Junge in das Zimmer angelockt wurde,

schien sozusagen unvermeidlich, allerdings auch, dass die Lehrer von dem Getümmel auf den Zimmern 145 Wind bekamen. Zuerst schien es, dass Anna und ihre Freundinnen würden wieder nach Hause geschickt werden. Doch nach einer langen Unterhaltung mit ihrer Henna gefärbten Mireille Matthieu- Haarschnittigen Deutsch und Englisch Lehrerin, sowie dem „ Tierfreund-Zeitschrift“ verkaufenden Bio- Lehrer, der nur in Wrangler Hosen, Birkenstock und Pullunder, mit aufgeklappten Polokragen herumlief, überzeugten die Schülerinnen ernsthaft, dass sie auch mit dem kleineren Übel leben könnten. Und das hieß in diesem Fall, zwei Tage Küchendienst! Danach hielten sich die Mädchen schwer zurück gehalten, weiter Türklinken mit Zahnpasta einzuschmieren und den Jungen Salz in die Zuckerdosen zu schütten.

Die nächsten Tage waren verplant, mit Senat und Museeumsbesuchen, Ausflüge und einer kleinen Reise, nach Ost-Berlin. Die Jungens überlegten sich schon vorher, was sie sich alles kaufen wollten, für die fünfundzwanzig Mark Zwangsumtausch und spekulierten auf Werkzeug, Küchenwaren, Süßigkeiten und Alkohol.


Jedoch enttäuscht, von all der übertriebenen Unfreundlichkeit der uniformierten Grenzler und den begegnenden Ostberlinern, blieb ein beklemmenden und ungutes Gefühl zurück, dass den jugendlichen „Wessis“ dumpf entgegenschwang. Annas Blicke wurden ebenso prüfend und auch ängstlich. Es fehlte ihr an Verständnis, zumindest ein paar Stangen Zigaretten oder ähnliches für ihr DDR-Geld zu kaufen und so verschenkte Anna schlussendlich ihre Münzen an einem Penner, der am Ostbahnhof saß und bettelte.

Am späten Abend sagte Anna im Kino zu ihrer Freundin Linda, „ Ist schon komisch, jetzt sitzen wir hier im Gloria in der ersten Reihe und sehen uns Psycho II an, aber die wurstigen übergroßen Finger von Anthony Perkins und das Messergewetzte hinter den Duschvorhängen können mich noch lange nicht so erschrecken, wie der Besuch heute in Ostberlin.“


„Mir geht es genauso!“, flüsterte Linda Popcorn kauend zurück.

„Aber irgendwie ist es schön, mit der ganzen Klasse hier zu sein,

ist ja doch `ne schöne Clique.“

„Pssst, es ist spannend, ja, Anna, hast Recht!“

„ Ja, ja. ... meine Güte, stell dir das noch mal vor,

ich darf gar nicht dran denken!“

„Was denn, Anna, mach hin!“

„Na, der Alexanderplatz und diese Kaufhäuser..

hattest du zum Beispiel diese veralteten Bindungen an den Skiern gesehen?“

„Anna, es ist gut, halt den Schnabel jetzt!“

„Ja, ... hm, und diese seltsamen Kochtöpfe, schon alles komisch .. irgendwie!“

„Anna!“

„Wenn wir in ein paar Tagen zurück sind,

werden die ganzen Vorstellungsgespräche auf uns zu kommen. Ganz sicher.. bald!“

„Anna!!! Wer will daran schon denken, wenn vor mir eine nackte,

tote Frau in der Eiswürfeltruhe unentdeckt bleibt?“

„Wie bitte, ...

Eiswürfel willst du jetzt haben? Hast du Duaaaaaaarst?“

„Sei endlich still.. mir ist schlecht!“

„Linda.. was hast du denn?“

„Shhh shhh.. Ruhe da vorne!“

„ Linda, warum würgst du denn so? Ist dir übel?“

„ Hust hust, spei spei!“

„Gott sei Dank sitzen wir in der ersten Reihe!

Mit dir kann man auch nirgends wo hingehen.

Du göbelst wie Werner aus den Wernerheften, Linda?

Das ist klassischer Würfelhusten, würde Meister Röhrig sagen,

oder hieß der Aurich, ich weiß es nimma.. Lindaaaaaaaaaaaargh !!!“


© Capri